4 Arten der Vermittlung

Saitenwechsel bei Ein Männlein steht im Walde

Bei der Vermittlung von musikalischen Lerninhalten und Spieltechnik stehen der Lehrkraft verschiedene Methoden zur Verfügung, z. B. die klingende, visuelle, verbale oder körperlich bewegende Vermittlung. In der Regel kombinieren Lehrkräfte diese Vermittlungsformen intuitiv, indem sie zum Beispiel mit Worten erklären und gleichzeitig die Spieltechnik vorführen. Bei demenziell veränderten Menschen kann es sinnvoll sein, im Unterricht die Vermittlungsformen zu wechseln oder sich auf eine zu fokussieren, weil andere vielleicht aufgrund der demenziellen Veränderungen des Schülers oder der Schülerin gerade nicht zum Erfolg führen.

Klingende Vermittlung

In der 7. Unterrichtsstunde führt Anke Feierabend das Kinderlied Ein Männlein steht im Walde ein, indem sie es zunächst vorspielt. Frau Schmidt beginnt mitzusummen, sie hat das Lied also erkannt. Bei der Wiederholung des A-Teils spielt sie aus eigenem Antrieb mit, sucht und findet die meisten Töne. Frau Feierabend bietet zunächst nur eine klingende Orientierung, und hält den jeweils nächsten Ton des Liedes so lange, bis Frau Schmidt ihn richtig intoniert mitspielt.

Als dies nicht zufriedenstellend gelingt, erklärt Frau Feierabend mit Worten, welche Finger auf welcher Saite zu spielen sind. Trotzdem steht weiterhin das klingende Vorbild im Mittelpunkt, Frau Schmidt sucht und findet auf ihrer Geige die Töne, die sie hören will. Nachdem die Schülerin das Lied mit zahlreichen Korrekturen und viel Ausdauer zum Ende geführt hat, zeigt Frau Feierabend viel Wertschätzung für ihre Leistung und betont, dass mit dem Saitenwechsel eine neue Schwierigkeit zu bewältigen war. Frau Schmidts Lachen und Schmunzeln zeigt, dass sie mit Selbstvertrauen und Humor an die neue Aufgabe herangeht.

Eine weitere Form der klingenden Vermittlung stellt das Mitsummen oder Mitsingen dar. In den Unterrichtssequenzen mit dem Lied Summ, summ, summ, Bienchen summ herum steht diese Methode im Mittelpunkt, weil das Hören des gesungenen Liedes für Frau Schmidt die einzige Chance ist, eine innere Klangvorstellung davon zu entwickeln und das Lied zu spielen.

Bei Ein Männlein steht im Walde ist es vor allem das Anfangsintervall, das durch Vorsummen oder Vorsingen für Frau Schmidt nachspielbar wird, und zwar in Kombination mit dem visuellen Vorführen der Spieltechnik.

Ein Männlein steht im Walde:

A-Teil:

B-Teil:

A’-Teil:

Visuelle Vermittlung

Als Frau Feierabend das Lied von der D-Saite aus spielen will, gerät Frau Schmidt beim Mitspielen in höhere Lagen. Anstatt den Fehler zu tadeln, gibt Frau Feierabend eine positive Rückmeldung, nämlich dass Frau Schmidt mit dem Lagenwechsel eine viel schwierigere Aufgabe bewältigt hat.

Frau Schmidt erhält von ihr drei Angebote zur Verbesserung, nämlich verbale Erklärungen sowie klingende und visuelle Vorgaben. Die Klangvorstellung von dem Lied hat sie ohnehin, aber es fällt ihr schwer, die verbalen Erklärungen umzusetzen. Und so scheint in dieser Situation vor allem zu helfen, dass Frau Feierabend ihr die Positionen ihrer Finger buchstäblich vor Augen hält. Frau Schmidt schaut auf die Finger ihrer Lehrerin und versucht die Bewegungen wie ein Spiegelbild zu imitieren. Dabei hilft ihr die Tatsache, dass Anke Feierabend die Strichrichtung ihres Spiels angepasst hat. Dieses Anpassen ist vor allem im ersten Film zu sehen, auch wenn dort die klingende Vermittlung im Vordergrund steht: Beim Vorspiel hatte Anke Feierabend noch den Auftakt des Liedes mit dem Aufstrich begonnen, aber schon bald danach ändert sie ihre eigene Strichrichtung, um spiegelbildlich mit Frau Schmidt zu spielen und ihr damit das Imitieren zu erleichtern. In diesem Filmbeispiel zur visuellen Vermittlung beginnt sie nun stets den Auftakt mit dem Abstrich.

Besondere Schwierigkeiten bereitet wieder das Anfangsintervall. Damit Frau Schmidt den Quartsprung mit dem dritten Finger korrekt lernt, soll sie zunächst die Tonleiter bis zum 3. Finger spielen, um dann das Anfangsintervall mit dem 3. Finger zu finden.

Frau Feierabend zeigt ihr wieder ihr eigenes Griffbrett und singt zusätzlich die Quarte des Martinshorns (Tatü, tata), das Frau Schmidt vermutlich kennt.

Vorübungen zu Ein Männlein steht im Walde:

Die Kombination aus klingender und visueller Vermittlung kann in bestimmten Situationen den Lernprozess unterstützen. Immer wenn Frau Schmidt quasi wie ein Spiegelbild die Körperposition ihrer Lehrerin übernimmt, ist es nämlich eine Form von intuitivem und auf das Körpergedächtnis vertrauendem Spiel, das in Frau Feierabends Unterricht stets im Vordergrund steht.

Das Schauen auf die eigenen Finger und auf die Finger der Lehrerin kann diesem Ziel aber auch im Wege stehen, zum Beispiel wenn die Nachahmung und Selbstkontrolle der Fingerpositionen eine bewusste Denkleistung erfordert, die für demenziell veränderte Menschen vielleicht nicht mehr möglich ist.

Der B-Teil des Liedes gelingt Frau Schmidt nach anfänglichen Intonationsschwierigkeiten gut. Er stellt eine leichtere Aufgabe dar, weil er komplett auf einer Saite zu spielen ist. Frau Schmidt schaut nun nicht mehr auf ihre Geige oder die ihrer Lehrerin, sondern unbestimmt zu Seite. Ihre Klangvorstellung und ihr Körpergedächtnis bewirken, dass sie das Lied richtig spielt. Ein weiteres Indiz für diesen gut funktionierenden Automatismus des Körpergedächtnisses ist die Beobachtung, dass Frau Schmidt im B-Teil die tiefe Position des 2. Fingers spielt, obwohl dieses Thema im Unterricht nie zur Sprache kam. Sie beherrscht diese Spieltechnik aufgrund früher gelernter körperlicher Erfahrung und Übung und kann sie jetzt intuitiv abrufen.

Sogar der Saitenwechsel im abschließenden A’-Teil gelingt viel besser als am Anfang des Liedes – vielleicht weil Frau Schmidt jetzt im Automatismus des Liedes ist und die Finger unbewusst die Klangvorstellung in das richtige Klangergebnis umsetzen.

Körperlich bewegende Vermittlung

In der 12. Unterrichtsstunde gelingt das Anfangsintervall von Ein Männlein steht im Walde nach der Tonleiter-Vorübung sehr gut, und Frau Schmidt spielt das Lied in deutlich schnellerem Tempo als früher. Trotzdem muss eine Lehrkraft bei demenziell veränderten Menschen immer damit rechnen, dass ein spürbarer Lernfortschritt sich plötzlich wieder in Luft auflöst und nicht bewusst reproduzierbar ist. Frau Schmidt sucht jetzt im B-Teil die richtigen Fingerpositionen, und in dieser Situation wählt Frau Feierabend nun einen physischen Impuls, um das Körpergedächtnis ihrer Schülerin wieder zu aktivieren. Sie bewegt die Finger von Frau Schmidt in die richtige Position und begleitet dies mit verbalen Erklärungen. Frau Schmidt spielt sofort korrekt weiter, als habe der körperliche Impuls ihrer Lehrerin ihr den notwendigen Anschub gegeben, von dem aus sie nun selbständig weiterspielen kann.

Im weiteren Verlauf dieser Stunde führt noch mehrmals die körperlich bewegende Vermittlung zum Erfolg, jeweils begleitet von verbalen Erläuterungen, ohne die die Berührung vermutlich unnatürlich wirken würde. Frau Schmidt zeigt große Motivation, das Lied richtig zu spielen, und bleibt konzentriert, bis sie auch den Schlusston mithilfe eines körperlich bewegenden Impulses ihrer Lehrerin richtig intoniert gefunden hat – wenn auch mit einem anderen Finger. Als Frau Feierabend im nächsten Unterrichtsschritt Ein Männlein steht im Walde auf der D-Saite anstimmt, greift sie erneut auf die bewährte Methode der körperlich bewegenden Vermittlung zurück, und Frau Schmidt kann schnell wieder in den Automatismus ihres Körpergedächtnisses gelangen und das Lied fehlerlos spielen.

Verbale Vermittlung

Während die klingende Vermittlung wie in den oben genannten Beispielen oft sehr direkt und ohne Erläuterungen funktioniert, werden visuelle Vermittlungsversuche wie auch körperlich bewegende meistens von gesprochenen Worten begleitet. Die verbale Vermittlung im Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen kann zum Erfolg führen, wenn einige Besonderheiten beachtet werden.

Als Frau Feierabend in der 8. Unterrichtsstunde das Lied Ein Männlein steht im Walde auf der D-Saite spielen will, bereitet das Anfangsintervall Frau Schmidt wieder Schwierigkeiten. Frau Feierabend nennt den 3. Finger daraufhin auch „Ringfinger“. Dies ist eine bildliche Beschreibung, die vielleicht für Frau Schmidt eine kognitive Hürde weniger bedeutet als die Bezeichnung „3. Finger“. Den „Ringfinger“ kann sie fühlen, sie trägt dort sogar einen Ring. Den „3. Finger“ muss sie zunächst bewusst abzählen und weiß vielleicht nicht so recht, bei welchem Finger sie zu zählen beginnen soll, zumal sie vielleicht vom Klavierspiel auch eine andere Zählweise kennt.

Zum Ende der Stunde lässt Frau Feierabend ihre Schülerin entscheiden, welches Lied sie noch einmal spielen will. Die alleinige Frage „Welches Lied sollen wir noch einmal spielen?“ würde Frau Schmidt vielleicht verunsichern, weil ihr kein Titel einfällt. Aber Frau Feierabend zählt die möglichen Titel sofort auf, und Frau Schmidt entscheidet sich für Ein Männlein steht im Walde – vielleicht, weil es als letzt genanntes für sie noch mit einer Klangvorstellung verbunden ist. Sie spielt das Lied noch einmal ohne Schwierigkeiten. Das Lob im Anschluss nimmt sie erleichtert an und bestätigt mit verhaltener Freude, dass sie alles richtig gespielt hat.

Auch in anderen Unterrichtssituationen wird deutlich, dass die Frage nach Liedtiteln von Frau Schmidt nicht beantwortet werden kann, weil sie – wie viele an Demenz erkrankte Menschen – aus dem Stegreif keine Titel weiß. Der Frage „Welches Lied sollen wir jetzt spielen?“ muss die Aufzählung der Optionen folgen „Sollen wir Hänschen klein, Summ, summ, summ oder Ein Männlein steht im Walde spielen?“

In der 12. Unterrichtsstunde zeigt Frau Schmidt ganz offen, dass sie Worte manchmal nicht versteht. Sie wiederholt Frau Feierabends Anweisung „der zweite Ton ist der 3. Finger“ ironisch und macht deutlich, dass die Anweisung zu kompliziert ist, weil sie abstrakte Bezeichnungen nicht verstehen und umsetzen kann. Ein solches Eingeständnis ihrer Defizite ist möglich, weil Lehrerin und Schülerin ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut haben. In anderen – weniger vertrauensvollen und wertschätzenden – Situationen reagieren demenziell veränderte Menschen oft mit Schweigen oder Ablenkungen, um ihre Defizite vor dem Gegenüber zu vertuschen.

Hier aber – in entspannter und humorvoller Atmosphäre – schmunzelt Frau Feierabend über ihre komplizierte Anweisung. Sie bewegt Frau Schmidts Finger an die richtige Stelle auf dem Griffbrett und singt zusätzlich dazu das Lied vor. Mit dieser Kombination von Vermittlungsformen kann Frau Schmidt das Lied erfolgreich spielen.

Zusammenfassung

Frau Feierabend benutzt ein altes Kinderlied, das Frau Schmidt seit ihrer Kindheit kennt. So hat die Schülerin sofort eine Klangvorstellung und kann mithilfe ihres Körpergedächtnisses die Töne des Liedes auf der Geige finden.

Um die korrekte Fingerposition für das Anfangsintervall zu gewährleisten, lässt Frau Feierabend ihre Schülerin die Dur-Tonleiter auf der entsprechenden Saite spielen.

Neben der klingenden Vorgabe kommen visuelle, verbale und körperlich bewegende Vermittlungsformen zum Einsatz: Die Schülerin ahmt die Fingerpositionen, die sie bei ihrer Lehrerin sieht, wie ein Spiegelbild nach, sie kann verbale Erklärungen besser umsetzen, wenn sie weniger abstrakt und mehr bildlich formuliert sind, und sie spürt den Bewegungsablauf ihrer Finger, wenn Frau Feierabend sie in die richtige Position bewegt. Mit diesem physischen Impuls kann Frau Schmidt weiterspielen, weil ihr Körpergedächtnis aktiviert ist.

Eine weitere Methode, die im Zusammenhang mit der verbalen Vermittlungsform zum Einsatz kommt, ist die Mitbestimmung des Schülers. Frau Feierabend fragt Frau Schmidt oft, mit welchem Lied es im Unterricht weitergehen soll, und Frau Schmidt darf es entscheiden. So ist die Motivation für den nächsten Unterrichtsschritt bei der Schülerin gewährleistet.