Körpergedächtnis

Diese Seite enthält grundlegende Informationen zum Thema Körpergedächtnis. Beispiele für die Aktivierung des Körpergedächtnisses bei Sigrid Schmidt sind unter dem Menütitel „Unterricht“ zu finden.

Körpergedächtnis

Wir Menschen entwickeln im Laufe unseres Lebens ein kognitives und bewusst abrufbares Gedächtnis, um uns in unserer Umwelt besser orientieren zu können. Genauso konstruiert unser Körper aus Sinneswahrnehmungen und gefühlten Bewegungen ein Körpergedächtnis, das allerdings nicht bewusst abrufbar ist, sondern nur im handelnden Vollzug. In diesem Körpergedächtnis sind Erfahrungen des Körpers in Verbindung mit Bewegungen und Gefühlen abgespeichert. Das Körpergedächtnis kann unbewusst Bewegungsabläufe aktivieren, die in früheren Zeiten des Lebens erfahren und gelernt wurden.

In Medizin und Psychologie werden manchmal auch die Begriffe Leibgedächtnis, kinästhetisches Gedächtnis oder Embodiment verwendet. Leibgedächtnis betont noch mehr den subjektiv erlebten Körper, mit dem wir Menschen uns in Situationen wahrnehmen und uns darin verhalten. Bewegungsabläufe gehen quasi in Fleisch und Blut über, wobei die Gedächtnisinhalte über den Körper vermittelt werden. Gemäß dem psychologischen Konzept des Embodiment ist der Körper an allen kognitiven und emotionalen Prozessen beteiligt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Körperhaltungen und Bewegungsabläufe diejenigen Gefühle begünstigen können, mit denen unser Körper in früheren Zeiten diese Tätigkeit ausgeübt hat.

Auch in der Schmerztherapie und Traumatherapie werden die Erkenntnisse über das Körper- bzw. Leibgedächtnis angewandt, wenn zum Beispiel psychologische Konflikte durch unbewusste Vermeidungsstrategien nicht gelöst werden.

Körpergedächtnis beim Musizieren

Als Beispiele für das Körpergedächtnis und das Leibgedächtnis werden in der Literatur häufig sportliche Tätigkeiten genannt, wie das Fahrradfahren oder Schwimmen, also Bewegungsabläufe, die wir – sofern wir sie gelernt haben – nicht bewusst steuern, sondern die in unserem Körper automatisch geschehen. Ebenso wird das Musizieren häufig als Beispiel genannt, denn wer einmal Klavier gespielt oder Tanzschritte eingeübt hat, wird diese Bewegungsabläufe sofort wieder durchführen, wenn er oder sie in ähnlichen Wahrnehmungssituationen ist. Dabei scheint es vor allem die Musik zu sein, die das Körpergedächtnis anregen kann, weil Musik bei uns Menschen Gefühle hervorruft, die mit den Bewegungsabläufen verbunden sind.

Wenn wir also mit Menschen musizieren, die das Instrument in früheren Lebensphasen gelernt haben, können wir davon ausgehen, dass der Klang der Lieder und das Fühlen des Instrumentes in der entsprechenden Körperhaltung das Gedächtnis des Körpers aktiviert und die Person unbewusst die früher gelernten Bewegungen durchführt. Sogar in einer Demenz behält der Mensch sein leibliches Gedächtnis bis in die spätesten Stadien seiner Krankheit, und die große Chance besteht darin, dass über das Körpergedächtnis wertvolle Ressourcen erschlossen werden können, wenn das einfache Erinnern nicht mehr gelingt.

Gleichzeitig bedeuten diese Erkenntnisse auch, dass es nur sinnvoll ist, eine demenziell veränderte Person auf jenem Instrument zu unterrichten, das sie in ihrem Leben bereits erlernt hat. Falls diese Person nie ein Instrument gespielt hat, aber Musik liebt, so kann der Unterricht mit Gesang, Tanzbewegungen und dem Hören von Musik funktionieren. Orff-Instrumente oder lateinamerikanische Instrumente können ebenfalls geeignet sein, weil die Spieltechnik dort aus einfachen Handlungsabläufen besteht, die alle Menschen im Repertoire ihres Körpergedächtnisses haben, zum Beispiel Klatschen, Klopfen, Trommeln, Schlagen oder Rasseln.

Manche Tasteninstrumente können im anfänglichen Stadium einer Demenz bis zu einem gewissen Grad noch neu erlernt werden.
Die Veeh-Harfe ist ein sehr leicht zu erlernendes Instrument, das sogar von bettlägerigen Menschen noch bedient werden kann und darum im Pflegebereich immer häufiger zum Einsatz kommt.

*Bislang beschreiben zwei weitere Autorinnen den Instrumentalunterricht mit Demenzerkrankten: Eva-Maria Kehrer (Klavier) und Sibylle Hoedt-Schmidt (Veeh-Harfe)

Die Lebensfreude demenziell veränderter Menschen kann steigen, wenn beim Musizieren Bewegungsabläufe reaktiviert werden, die in früheren Zeiten mit positiven Gefühlen verbunden waren. Wir müssen aber auch berücksichtigen, dass die Person beim früheren Musizieren vielleicht nicht nur Freude, sondern auch Leistungsdruck, Überforderung oder sogar Willkür erlebt hat. Auch diese Gefühle würden beim gemeinsamen Musizieren wieder aufleben, denn sie sind im Körper in Verbindung mit der Handlung abgespeichert.

Publikationen zum Thema "Körpergedächtnis" finden Sie unter "Literatur"