Unterricht

Methodik – Vorbemerkungen

In der (Instrumental-)Pädagogik bezeichnet der Begriff “Methodik” die konkrete praktische Umsetzung von Unterrichtszielen, also zum Beispiel die Organisation der Lernprozesse.

In diesem Projekt stellen wir exemplarisch den Instrumentalunterricht auf der Violine mit einer an Demenz erkrankten Frau vor. Die Unterrichtsmethode basiert auf dem Konzept der Anke Feierabend-Methode® (AFM), die vor allem eine validierende Haltung der Lehrkraft erfordert. Das bedeutet, dass sich die Lehrkraft auf jeden Schüler und jede Schülerin individuell einlassen muss, denn es gilt herauszufinden, welche Lieder, welche Spieltechnik, welcher Umgang mit Musik bei diesem speziellen Menschen und seiner individuellen Ausprägung der Demenz sinnvoll sind. Mit diesem offenen Ansatz kann die Methodik prinzipiell auf jedes andere Instrument im Unterricht übertragen werden. Das hier vorgestellte Beispiel zeigt einen Weg, den der Unterrichtsverlauf nehmen kann. Obwohl jeder Schüler und jede Schülerin anders ist und einen individuell zugeschnittenen Unterricht benötigt, enthalten viele der hier dargestellten Situationen doch typische Elemente, die im musikalischen Umgang mit demenziell veränderten Personen zu erwarten sind.

Bei allen methodischen Variationen, die sich in diesen individuellen Unterrichtsbeziehungen entwickeln können, sind folgende Leitgedanken der Anke-Feierabend-Methode grundlegend:

Ausgangspunkt Musikbiografie

Jede musikalische Unterrichtsbeziehung zu einem an Demenz erkrankten Menschen sollte damit beginnen, die Musikbiografie des Menschen zu erforschen. Aus den Kenntnissen und Vorlieben des Schülers oder der Schülerin ergibt sich dann zumeist die Auswahl der Lieder und Stücke, die im Unterricht gespielt werden. Im Verlauf der Unterrichtsbeziehung kann es die Persönlichkeit des Schülers/der Schülerin festigen, wenn die Lehrkraft im Gespräch immer mal wieder über die Musik Bezüge zum Leben der/des Demenzkranken herstellt.

Keine Noten!

Die Lehrbücher für den Anfängerunterricht auf einem Musikinstrument beginnen in der Regel mit der korrekten Körperhaltung mit dem Instrument, erklären die Ansatztechnik oder eine sinnvolle Bogeneinteilung und lehren erste Lieder mit wenigen Noten, zu denen die Lehrperson eine zweite Stimme spielt, um ein musikalisch interessantes Klangergebnis zu erhalten.
Demenziell veränderte Menschen werden aber Noten wahrscheinlich nicht (mehr) verstehen und die gedruckten Zeichen folglich nicht in eine Handlung auf dem Instrument umsetzen können (siehe auch: Demenz – Grundlagen). Und ein zweistimmiges Spiel ist zunächst nicht empfehlenswert, weil Demenzerkrankte sich sehr oft an ihre Bezugsperson anpassen und somit versuchen würden, in das Spiel der Lehrperson einzusteigen. Anke Feierabend verzichtet daher in der Regel auf Noten, sondern spielt mit ihren Schülerinnen und Schülern auswendig und zunächst meist einstimmig.
Gerade beim Violinunterricht erinnert dieses Vorgehen an die Suzuki-Methode, bei der Kinder ohne Noten das Geigenspiel ähnlich wie die Muttersprache durch Vor- und Nachspielen erlernen.

Erst wenn eine Schülerin/ein Schüler ein Stück so sicher beherrscht, dass Frau Feierabend davon ausgehen kann, dass eine zweite Stimme beim Demenzerkrankten keine Irritationen auslösen würde, beginnt sie, eine zweite Stimme zur Melodie zu spielen. Dies ist jedoch meist erst nach etlichen Monaten des Unterrichts der Fall. In der einjährigen Unterrichtszeit mit Frau Schmidt wurde diese Phase nicht erreicht.

Nutzung des Körpergedächtnisses

Wenn Schülerinnen und Schüler früher schon einmal das jeweilige Musikinstrument gespielt haben, werden beim Spiel nach Gehör, also ohne Noten, diejenigen Lieder spielbar sein, für die die Person aus ihrem Körpergedächtnis heraus die richtigen Bewegungen aktivieren kann. Sie werden auch automatisch die Haltung und den Ansatz bzw. die Bogenführung zeigen, die in ihrem Körpergedächtnis verankert sind. Jede Korrektur samt Erklärung würde sie womöglich verunsichern.

Vertrauen haben und bilden

Da das Körpergedächtnis auch bei demenziellen Veränderungen erhalten bleibt, kann die Lehrkraft stets Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Schülerin und ihres Schülers haben. Wir können uns auf die Kraft der Musik verlassen, die im musikalischen Langzeitgedächtnis schlummernde Erinnerungen wachruft, Freude und Selbstvertrauen schenkt und jeden Zweifel an geistigen und körperlichen Defiziten überwinden kann. Die vertrauensvolle Haltung der Lehrkraft bildet die Basis sowohl für den Beziehungsaufbau und das damit wachsende Vertrauen der Schülerin/des Schülers zu ihr als auch für das Vertrauen, das die Schülerin/der Schüler in seine eigenen Fähigkeiten gewinnt.

Detektiv sein

Damit das gelingt, sollten wir Lehrkräfte stets wie Detektive arbeiten und verborgene Fähigkeiten bei unseren Schülerinnen und Schülern suchen und ans Licht bringen. Wir sind die Schatzsucher, die im Dunkel der schlummernden, meist verschütteten Erinnerungen mit Hilfe der Musik Lichter anzünden und die Schätze in Form von Liedern und überraschenden Kompetenzen ans Tageslicht befördern.

Individuelle Musizierformen

Im Verlauf des Unterrichts kann es sich ergeben, dass Schülerinnen und Schüler mit fortschreitender Demenz das Instrument nicht mehr in üblicher Form verwenden. Dann ist es Teil der validierenden Haltung, dass diese vielleicht zunächst als falsch empfundenen Handlungen von der Lehrkraft akzeptiert werden und neue Formen des Musizierens zugelassen werden.
Ziel des Instrumentalunterrichts mit Demenzerkrankten ist es stets, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, Freude am gemeinsamen Musizieren und Momente von Glück und Zufriedenheit zu erleben, ihr schlummerndes musikalisches Potenzial zu wecken und ästhetische Erfahrungen im gemeinsamen Spiel zu machen. Erfolg und Stolz stärken ihr Selbstwertgefühl, und die so gewonnene Lebensfreude kann in den Alltag ausstrahlen.