Entwicklung der Klangvorstellung

Summ, summ, summ, Bienchen summ herum

6. Unterrichtsstunde – G-Saite

In der 6. Unterrichtsstunde führt Anke Feierabend spontan ein neues Lied ein, nämlich das Kinderlied Summ, summ, summ, Bienchen summ herum. Dieses Lied ist den allermeisten Senioren aus Kindheit und Schule bekannt. Frau Feierabend nennt den Titel zunächst nicht, sondern spielt es langsam auf der tiefsten Saite vor. Nach einigen Tönen beginnt Frau Schmidt, das Lied mitzusummen – sie hat es also erkannt.

Summ, summ, summ, Bienchen summ herum bietet sich für die ersten Stunden des Violinunterrichts an, weil das Tonmaterial nur aus den ersten fünf Tönen der Dur-Tonleiter besteht und auf der Violine kein Saitenwechsel notwendig ist. Als Vorübung ist es sinnvoll, die Dur-Tonleiter im Quintraum zu spielen und die Intonation zu prüfen, um die korrekte Fingerposition für die Töne des Liedes zu gewährleisten. Das Lied selbst beginnt dann sogar mit den Tönen der Tonleiter abwärts und unterscheidet sich erst beim längeren Notenwert des 3. Tons davon.

Tonleiter im Quintraum

Vorübung zu Summ, summ, summ:

Summ, summ, summ

A-Teil:

B-Teil:

A-Teil:

Der Wechsel von der Tonleiterübung zum Lied Summ, summ, summ kann demenziell veränderten Menschen große Schwierigkeiten bereiten: Sie müssen von der Klangvorstellung der Tonleiter in die Klangvorstellung des Liedes wechseln, und das ist eine willentlich gesteuerte kognitive Leistung, die vielleicht nicht mehr möglich ist. Für die Lehrkraft bedeutet es, dass sie sehr genau prüfen muss, inwieweit das Lied für den speziellen Schüler geeignet ist oder nicht.

Auch Frau Schmidt steht zunächst vor einer schwierigen Aufgabe: Sie soll die ersten fünf Töne der Tonleiter spielen, um die korrekte Position der Finger zu finden, und dann mit dem letzten Ton – mit dem 4. Finger – das Lied Summ, summ, summ beginnen. Dafür ist es notwendig, dass sie den Automatismus der Tonleiterübung unterbricht und zu der Klangvorstellung des Kinderliedes wechselt. Das Lied muss innerlich präsent sein, damit sie es auswendig spielen kann, und das gelingt ihr nicht. Sie spielt immer wieder die Tonleiter abwärts, bemerkt im Hörabgleich zu Frau Feierabends Spiel, dass sie falsch gespielt hat, glaubt zu verstehen und spielt doch im nächsten Versuch erneut die Tonleiter abwärts, weil sie die Klangvorstellung wieder verloren hat. Sie nimmt ihr Unvermögen mit Humor und hat Freude am gemeinsamen Spiel, und auch Frau Feierabend reagiert auf die Fehler ihrer Schülerin gelassen und ermuntert sie fröhlich, es erneut zu versuchen.

Anstatt die Übung immer wieder mit Worten zu erklären und Tonleiter und Liedanfang zu spielen, entscheidet sich Frau Feierabend schließlich dazu, das Lied weiter vorzuspielen, obwohl Frau Schmidt wieder scheitert und abbricht. Die Schülerin hört jetzt ihrer Lehrerin zu, erkennt den B-Teil des Liedes und beginnt selbständig, den B-Teil von vorne korrekt zu spielen. Dieser Teil bereitet keine Schwierigkeiten, weil er für das Lied charakteristisch und nicht mit einer Tonleiterübung zu verwechseln ist. Frau Feierabend spielt mit ihr mit und gibt ihr dadurch Sicherheit und Orientierung. Dass Frau Schmidt jetzt eine sichere Klangvorstellung von dem Lied hat, ist deutlich erkennbar, weil sie nun auch den anschließenden A-Teil mit den korrekten Notenwerten spielt.

D-Saite

Als Frau Feierabend dieselbe Übung auf der D-Saite einleitet, scheitert Frau Schmidt zunächst wieder am Wechsel von der Tonleiterübung zum Lied Summ, summ, summ, spielt stattdessen die Tonleiter abwärts und bemerkt ihren Fehler. Frau Feierabend nutzt dieses Erkennen, stimmt nun ohne vorbereitende Tonleiter sofort den ersten Ton des Liedes an und singt zusätzlich leise dazu. Jetzt kann Frau Schmidt korrekt mitspielen, weil sie die Klangvorstellung präsent hat und keinen Wechsel vollziehen muss.

Im weiteren Verlauf des Liedes sucht sie manchmal die Töne, die zu ihrer Klangvorstellung passen und wendet dabei oft den Blick von ihren Fingern ab. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu einem intuitiven Musizieren, bei dem sich der Spieler auf sein Körpergedächtnis verlässt, anstatt bewusst seine Spieltechnik zu kontrollieren. Immer wenn Frau Schmidt nicht auf ihre Finger schaut, scheinen die Finger von alleine die richtigen Positionen zu finden.

Zusammenfassung

Das Spiel der Tonleiter im Quintraum ist eine Vorübung, um die korrekten Positionen der Finger für eine saubere Intonation des Liedes zu gewährleisten. Wenn Frau Schmidt die Quinte mit dem 4. Finger spielt, hat sie den Anfangston von Summ, summ, summ gefunden.

Diese Kombination von Tonleiter-Übung und bekanntem Lied Summ, summ, summ stellt für demenziell veränderte Menschen vielleicht eine Schwierigkeit dar, weil das Lied mit seiner Melodieführung am Anfang zur Tonleiterübung verleitet.

Frau Feierabend verfolgt in ihrer Unterrichtsmethode das Ziel, dass sich Frau Schmidt auf ihr Körpergedächtnis verlässt, das im Gegensatz zu kognitiven Fähigkeiten bei Demenzerkrankten erhalten bleibt. Während verbale Erklärungen vielleicht nicht verstanden und umgesetzt werden können, führt das Vorspiel des Liedes und das gleichzeitige Singen des Liedes dazu, dass Frau Schmidt eine Klangvorstellung des Liedes entwickelt und das Lied aus dem Gefühl heraus korrekt spielen kann. Wenn die Schülerin den Blick von ihrer Geige abwendet, gelingt ihr das intuitive Spiel noch besser.

Auch in späteren Unterrichtsstunden funktioniert das Umschalten von Tonleiter-Übung zum Lied Lied Summ, summ, summ nicht. Frau Feierabend verzichtet daher zunehmend auf die vorbereitende Tonleiter und beginnt sofort mit dem Lied. Diese Methode führt zum Erfolg, wenn z. B. vorher ein Lied in derselben Tonart gespielt wurde und die Finger von daher noch richtig positioniert sind.