Ausklang

Unterrichtsbeziehungen beenden

Irgendwann endet jede gemeinsame Unterrichtszeit. Kinder und Jugendliche beenden ihren Instrumentalunterricht häufig zum Schuljahreswechsel, weil andere Interessen wichtiger geworden sind oder weil die Schule mehr Zeit in Anspruch nimmt. Erwachsene Schülerinnen und Schüler, die sich auf einen Instrumentalunterricht einlassen, sind in der Regel ausdauernder. Unterrichtsbeziehungen bestehen oft über viele Jahre und werden dann durch äußere Umstände wie Umzug oder auch gesundheitliche Veränderungen beendet.

Bei Kindern und Erwachsenen wird das Ende der Unterrichtsbeziehung in der Regel thematisiert: Alle Beteiligten wissen, dass es eine letzte gemeinsame Stunde gibt; es werden Wünsche ausgesprochen und vielleicht Abschiedsgeschenke ausgetauscht.

Bei hochaltrigen und/oder an Demenz erkrankten Menschen sind es ebenfalls meistens äußerer Umstände, die das Ende des Instrumentalunterrichts bedeuten: Ein Umzug in eine weiter entfernte Pflegeeinrichtung oder gesundheitliche Veränderungen, die längere Krankenhausaufenthalte und dann einen Umzug nach sich ziehen oder im schlimmsten Fall zum Tode führen.

Aus unseren Erfahrungen heraus ist es allerdings sinnvoll, bei einem absehbaren Ende der Unterrichtsphase mit demenziell veränderten Menschen den Abschied nicht zu thematisieren. Das hat folgende Gründe:

  • Das gemeinsame Musizieren soll stets positive Gefühle beim Demenzerkrankten hervorrufen. Erfahrungen von Anke Feierabend und Rückmeldungen von Angehörigen haben gezeigt, dass demenziell veränderte Schülerinnen und Schüler sich an die Musik und sogar an die Lehrkraft noch erinnern – wenn sie darauf angesprochen werden – , auch wenn viele andere alltägliche Dinge nicht im Gedächtnis bleiben.
  • Ein Abschied ist für Menschen, die zunehmend Verluste erleben, sehr traurig. Für demenzerkrankte Menschen ist es aber nicht von Bedeutung zu wissen, dass heute die letzte Unterrichtsstunde ist, denn sie werden diese Information voraussichtlich wieder vergessen. Daher kann ihnen die traurige Abschiedssituation erspart bleiben.
  • Stattdessen sollte jede Stunde – auch die aus Sicht der Lehrkraft letzte Stunde – offen und positiv enden und ein Wiedersehen – wenn auch in unbestimmter Zukunft – in Aussicht stellen. In den meisten Fällen, wie bei einem Krankenhausaufenthalt oder dem Umzug in eine Pflegeeinrichtung, wird es tatsächlich unsicher sein, ob die Wiederaufnahme des Unterrichts möglich sein wird.

Da Anke Feierabend nicht nur zu ihren demenziell veränderten Schülerinnen und Schülern, sondern auch zu deren Angehörigen oft ein enges Verhältnis aufbaut, bleibt über diese Beziehung der Kontakt meist lange erhalten. So kommt es vor, dass sie zum Beispiel bei der Trauerfeier ihrer ehemaligen Schülerinnen und Schüler Geige spielt und dort die musikalischen Vorlieben der Verstorbenen sowie die Wünsche der Hinterbliebenen zu Gehör bringt. Auch die Aufgabe, die Trauerrede zu halten, wurde ihr bereits mehrfach übertragen. Dies zeigt, wie bedeutsam Frau Feierabend als Musiklehrkraft auch für die Angehörigen ist und welches Vertrauen ihr entgegengebracht wird.

Das Ende des Unterrichts mit Sigrid Schmidt

In dem hier vorgestellten Unterricht im Rahmen des Projektes „ReKuTe – Partizipative Wissenschaft für Region, Kultur und Technik“ wurde die Unterrichtsphase für ein Jahr finanziert. Nach dem gesundheitlich bedingten Umzug von Sigrid Schmidt in die Einrichtung “Tönebön am See” bedeutete es für Anke Feierabend jeweils einen Tagesausflug, um den Unterricht fortzuführen. Trotzdem konnten im Rahmen des Projektes noch drei Unterrichtsstunden in der neuen Einrichtung stattfinden.

Nach Beendigung der einjährigen Unterrichtszeit durch das Projekt sollten in größeren Abständen noch einzelne Violinstunden stattfinden, finanziert durch den “TonFolgen e. V. – Verein für therapeutischen Musikunterricht” sowie die Familie von Frau Schmidt. Damit sollte zum einen Frau Schmidt weiterhin die beglückende Erfahrung des Geigespielens ermöglicht werden; zum anderen wäre es aufschlussreich, inwieweit sie auch mit fortschreitender Erkrankung über die Geige und die Musik erreichbar bleibt und darüber fähig zum Selbstausdruck. Die Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Krise verhindern aber bislang, dass der Unterricht wie geplant fortgesetzt werden kann.