Demenz – Grundlagen
Jeder Mensch ist einzigartig, und auch die körperlichen und geistigen Veränderungen im Alter verlaufen individuell verschieden. Es gibt aber Ähnlichkeiten im Verhalten und typische Abfolgen von Veränderungen, die bei vielen Menschen beobachtet werden können. Die Beschreibungen von Symptomen und Krankheitsverläufen mögen uns eine gewisse Orientierung im Umgang mit alten Menschen geben, zum Beispiel indem wir typische Verhaltensauffälligkeiten erkennen und einordnen können und auf mögliche kommende Veränderungen vorbereitet sind. Eine Diagnose „Demenz“ sollte uns aber nie davon abhalten, bei der betroffenen Person nach besonderen Fähigkeiten und Potenzialen zu suchen, die gestärkt und erhalten werden können. Für den Instrumentalunterricht gilt dies besonders, und daher ist das gemeinsame Musizieren hervorragend geeignet, das Selbstwertgefühl und die Lebensfreude demenziell veränderter Menschen zu stärken.
Über die Symptome und Verläufe von Demenzerkrankungen gibt es eine Vielzahl von wissenschaftlicher Fachliteratur und praxisbezogener Lektüre für Pflege- und Betreuungskräfte. Betroffene, Angehörige und Interessierte, die nicht über einen medizinischen oder pflegerischen Hintergrund verfügen, finden in den Veröffentlichungen der Deutsche Alzheimer Gesellschaft hilfreiche Informationen, die für Laien verständlich sind und regelmäßig aktualisiert werden.
Für den Instrumentalunterricht mit Demenzerkrankten erscheinen uns folgende Informationen aus dieser Quelle wichtig und hilfreich:
Formen von Demenz
Die Alzheimer-Krankheit – benannt nach ihrem ersten Beschreiber Alois Alzheimer (1864 – 1915) – ist die häufigste Demenzerkrankung. Bei 60-70% aller Fälle können in unterschiedlichen Ausprägungen die typischen Symptome beobachtet werden:
– Gedächtnis- und Orientierungsstörungen
– Sprachstörungen
– Störungen des Denk- und Urteilsvermögens
– Veränderungen der Persönlichkeit.
Diese Störungen nehmen im Verlauf der Erkrankung zu und machen die Bewältigung des normalen Alltagslebens immer schwieriger. Das Absterben von Nervenzellen und Nervenkontakten sowie typische Eiweißablagerungen im Gehirn der Betroffenen sind charakteristisch.
Beim gemeinsamen Musizieren müssen wir damit rechnen, dass die Menschen eben Gelerntes eventuell nicht erinnern, spieltechnische Anweisungen nicht verstehen und umsetzen und sich nicht mit passenden Worten ausdrücken können. Das Lesen von Noten und die Umsetzung der Symbole in spieltechnische Bewegungsabläufe ist wahrscheinlich nicht möglich.
Bei der Frontotemporalen Demenz sterben Nervenzellen vor allem im Stirn- und Schläfenbereich (= frontaler und temporaler Lappen) des Gehirns. Von hier aus werden unter anderem Emotionen und Sozialverhalten kontrolliert. Die betroffenen Menschen fallen vor allem durch Veränderungen der Persönlichkeit und des zwischenmenschlichen Verhaltens auf, insbesondere Teilnahmslosigkeit aber auch Reizbarkeit, Aggression, Taktlosigkeit und Enthemmung.
Als Reaktion auf starke Gefühle beim Musizieren (positive wie negative) können verbale oder körperliche Übergriffe auftreten.
Die vaskuläre (gefäßbedingte) Demenz ist die Folge von Durchblutungsstörungen des Gehirns, z. B. Schlaganfall und kann ähnliche Symptome wie die Alzheimer-Demenz hervorrufen.
Menschen, bei denen die Lewy-Körperchen-Demenz (Lewy-Body-Demenz) diagnostiziert wurde, zeigen wahrscheinlich auch Alzheimer-ähnliche Verhaltensveränderungen. Allerdings sind bei vielen Patienten starke Schwankungen der geistigen Fähigkeiten im Tagesverlauf festzustellen sowie häufiger Halluzinationen und/oder Bewegungsstörungen.
Unterrichtserfolge und positive musikalische Erlebnisse können stark variieren. Die Lehrkraft muss damit rechnen, dass die Schülerin oder der Schüler von imaginären Dingen oder Personen abgelenkt wird. Der Unterricht kann dadurch aber auch bereichert werden.
Die Parkinson-Krankheit zeigt sich in erster Linie in Bewegungsstörungen und ist zunächst meist nicht mit geistigen Einschränkungen verbunden. Erst im späten Krankheitsstadium bildet sich bei einem Teil der Betroffenen eine Demenz heraus.
Aufgrund der Bewegungsstörungen ist das gemeinsame Musizieren evtl. nur mit sehr einfach zu bedienenden Instrumenten, z. B. mit Orff-Instrumenten möglich. Große, schwingende Bewegungen zur Musik können an Parkinson erkrankte Menschen besser ausführen als schnelle, rhythmische Bewegungen.
Anmerkung: Ein Schüler von Anke Feierabend litt an Parkinson sowie Lewy-Body-Demenz. Obwohl er im Alltag starke Bewegungsstörungen zeigte, war er im Unterricht in der Lage, einwandfrei mit beiden Händen Klavier zu spielen. Wer ihn dabei beobachten konnte, hätte nicht für möglich gehalten, dass er an Parkinson litt.
Es kann sich also lohnen, auszuprobieren, was im Einzelfall möglich ist.
Das Korsakow-Syndrom ist häufig die Folge eines jahrelangen übermäßigen Alkoholkonsums. Die Betroffenen verlieren besonders stark die Fähigkeit neue Informationen zu speichern.
Neue Lieder zu lernen ist weniger möglich als altbekannte zu erinnern.
Sonstige Veränderungen im Alter
Neben diesen vor allem geistigen Veränderungen müssen wir bei Menschen mit Demenz auch mit körperlichen Symptomen rechnen, die das Alter mit sich bringt. Typische geriatrische Symptome sind:
Gehör
Mit zunehmen Alter verringert sich unsere Fähigkeit selektiv zu hören, also bestimmte Schallquellen aus einer Geräuschkulisse herauszufiltern. In jüngeren Jahren erleben wir den so genannten „Party-Effekt“: Auf einer Party mit lauten Hintergrundgeräuschen sind wir trotzdem in der Lage, unseren Gesprächspartner zu verstehen. Das ist im Alter zunehmend nicht mehr möglich, sondern zusätzliche Schallquellen werden als störender Klangteppich erlebt.
Beim Sprechen und Musizieren mit alten Menschen müssen wir dafür sorgen, dass vermeidbare zusätzliche Schallquellen vermieden werden, um unsere Schülerinnen und Schüler vor unnötiger Anstrengung und Stress zu schützen.
Außerdem wird das Hörfeld im Alter enger, das bedeutet, dass wir mit Seniorinnen und Senioren lauter reden müssen, damit sie uns verstehen. Allerdings kann zu große Lautstärke individuell verschieden auch schnell als schmerzhaft laut empfunden werden. Hörgeräte bieten zwar vereinzelt Abhilfe, verstärken jedoch oft bestimmte Frequenzen und können beim Musizieren kontraproduktiv sein. Bei jedem betagten Schüler und bei jeder Schülerin müssen wir sensibel darauf achten, ob und wie er oder sie unsere Klänge hört und empfindet.
Sehkraft
Generell können wir davon ausgehen, dass die Sehkraft im Alter nachlässt – sowohl die Lichtempfindlichkeit als auch die Fähigkeit, Kontraste zu erkennen.
Beim gemeinsamen Musizieren sollten wir ausreichende Beleuchtung garantieren und mögliche Noten oder sonstige Schriftzeichen eher groß gestalten.
Schwindel: Beim gemeinsamen Musizieren ist auf stabile Sitzgelegenheiten zu achten. Mögliche Drehbewegungen des Körpers sollten sehr sensibel durchgeführt werden, weil viele Menschen schnell Schwindelgefühle spüren – auch beim normalen Sitzen.
Instabilität: Das Risiko zu stürzen wird im Alter größer. Die Wege zum und im Unterrichtsraum sollten Möglichkeiten zum Festhalten bieten. Die Lehrkraft sollte bereit sein, den Schüler oder die Schülerin stützend zu begleiten.
Immobilität: Vielleicht werden die demenziell veränderten Schülerinnen oder Schüler irgendwann auf den Rollstuhl angewiesen sein. Falls sie zusätzlich einen Schlaganfall erleiden und womöglich halbseitig gelähmt sind, kann der Unterricht eventuell mit Bewegungen des gesunden Arms fortgeführt werden, z. B. durch Hilfestellungen oder indem gesungen oder Musik gehört wird.
Inkontinenz: Mit dem Alter nimmt bei uns Menschen die Fähigkeit ab, Blase und Darm zu kontrollieren. Viele alte Menschen spüren häufigen Harndrang und möchten eine Toilette aufsuchen. Im Instrumentalunterricht sollte die Lehrkraft darauf vorbereitet sein. Wenn der gefühlte Harndrang nicht der körperlichen Notwendigkeit entspricht und die Person einen Kleidungsschutz trägt, kann ein neues Lied eventuell Ablenkung bringen.
Schmerz: Oft von Mitmenschen unterschätzt wird der ständige Schmerz, mit dem viele Menschen im Alter leben. Das können konkrete Schmerzen in versteiften Gliedern sein, Kopfschmerzen, Tinnitus, Verdauungsprobleme oder psychosomatische Schmerzen. Demenziell veränderte Menschen finden vielleicht keinen Worte, um ihre Schmerzen zu beschreiben. Oder sie empfinden unangenehme Wahrnehmungen als schmerzhaft, z. B. einen lauten Ton. Darum ist auf Laute und nonverbale Signale zu achten, die auf Schmerzen hindeuten könnten.
Verlauf einer Demenzerkrankung
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft beschreibt den typischen Verlauf einer Alzheimer Demenz in drei Phasen. Mit den oben genannten Besonderheiten ist ein ähnlicher Verlauf auch bei anderen Demenzformen zu erwarten.
Leichtgradige Demenz
Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses stehen im Vordergrund. Die Erkrankten können sich den Inhalt von Gesprächen nicht einprägen, finden abgelegte Gegenstände nicht mehr wieder, das Planen und Organisieren wird schwieriger ebenso wie Wortfindung und Orientierung.
Die Kranken erleben oft bewusst, dass sie etwas vergessen, und sind dadurch verwirrt und verunsichert. Bei Alltagsaufgaben sind viele aber noch weitgehend selbstständig und versuchen, eine „Fassade“ aufrechtzuerhalten.
In dieser frühen Phase ist das gemeinsame Musizieren auf einem bekannten Instrument ideal, um das Selbstwertgefühl der Betroffenen zu stärken. Da musikalische Erfahrungen im Langzeitgedächtnis gespeichert sind, können sie Lieder und Liedtexte auch dann noch erinnern, wenn sie sonst im Alltag schon vieles vergessen. Das Körpergedächtnis hat die Bewegungsabfolgen beim Spielen des Instrumentes in früheren Jahren gespeichert, so dass sie auch nach vielen Jahren unbewusst abgerufen werden können.
Neue Instrumente zu erlernen, kann auch gelingen, wenn die Handhabung sehr einfach ist und Handlungsabfolgen aus dem Alltag ähnelt, z. B. das Schlagen einer Handtrommel, das Bedienen eines Glockenspiels mithilfe von Schlegeln etc. Allerdings ist zu erwarten, dass die Schülerinnen und Schüler ihre spieltechnischen Fehler beim Musizieren realisieren und sich selbst stark kritisieren und abwerten.
Mittelschwere Demenz
Die Einschränkungen von Gedächtnis, Denkvermögen und Orientierungsfähigkeit nehmen allmählich zu, und die Betroffenen brauchen zunehmend Hilfe bei einfachen Aufgaben des täglichen Lebens. Viele Erkrankte können keine vollständigen Sätze mehr bilden, und auch die Langzeiterinnerungen z. B. an Ehepartner oder Lebensorte verblassen teilweise.
In diesem Stadium sind den Demenzerkrankten ihre Krankheit und ihre Defizite nicht mehr bewusst, und sie nehmen nicht wahr, dass ihr Verhalten sich verändert: Am häufigsten ist eine hochgradige Unruhe, die sich in rastlosem Auf- und Abwandern manifestiert oder in immer wiederkehrenden Fragen oder Handlungen. Viele Erkrankte werden in dieser Situation gereizt oder aggressiv oder fühlen sich betrogen, bestohlen oder verlassen.
Dass Demenzerkrankte in diesem Stadium ihre Krankheit vergessen, kann eine große Chance für ein neues, intuitives Musizieren sein. Viele lassen sich ganz auf einen Klang oder ein Lied ein und genießen das gemeinsame Improvisieren. In Situationen von Unruhe und Unsicherheit kann ein alt bekanntes Lied beruhigend wirken und Gefühle von Geborgenheit auslösen. Andererseits können die Menschen auch ihre Wut auf einem Instrument zum Ausdruck bringen, wenn sie keine Worte mehr dafür finden, oder ihre Unruhe in einem gemeinsam gespielten Rhythmus kanalisieren.
Schwere Demenz
Im fortgeschrittenen Stadium ist ein hochgradiger geistiger Abbau erkennbar, die Sprache beschränkt sich nur noch auf wenige Wörter oder versiegt ganz, die Menschen brauchen einen Rollstuhl oder sind bettlägerig. Sie sind in jeder Hinsicht pflegebedürftig, und es können Versteifungen in den Gliedmaßen, Schluckstörungen und Krampfanfälle auftreten. Gefühle sind aber nach wie vor vorhanden und können zum Ausdruck gebracht werden, z. B. durch Weinen oder Schreien.
Wichtig: Gefühle werden nicht dement!
Die Demenzerkrankung selbst führt nicht zum Tod, aber der körperliche Abbau und die Anfälligkeit für Infektionen steigt, die wiederum die häufigste Todesursache sind.
Gemeinsames Musizieren ist noch möglich, wenn es sehr elementar stattfindet, z. B. mit leicht zu haltenden Maracas, gut erreichbaren Bongos oder einem aufgehängten Becken, das mit einem weichen Schlegel angeschlagen werden kann. Vielleicht kann die Person auch den Bogen über die Saiten einer Violine streichen, Gitarrensaiten zupfen oder Keyboardtasten drücken. Das gemeinsame Singen oder Hören von Musik steht jetzt im Vordergrund, denn Musik spricht die Gefühle an, und selbst wenn das Gehirn weitestgehend degeneriert ist, bleibt das Langzeitgedächtnis für Musik erhalten. Die Instrumentallehrkraft/der bzw. die Musikgeragoge/in kann die Hände oder Füße des bettlägerigen Menschen nehmen und gemeinsame Bewegungen zur Musik ausführen.
Umgang mit Demenzerkrankten im Instrumentalunterricht
Die von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft formulierten Hinweise für Angehörige sind teilweise auch für Instrumentallehrkräfte wichtig, die Demenzerkrankte unterrichten.
Auch beim gemeinsamen Musizieren müssen stets die besonderen Bedürfnisse der demenziell veränderten Menschen berücksichtigt werden:
1. Begegnung auf Augenhöhe
Demenziell veränderte Menschen muss man so annehmen, wie sie sind, denn sie können sich nicht ändern. Entsprechend sollte die Lehrkraft im Instrumentalunterricht stets die persönliche Würde der erwachsenen Schüler oder der Schülerinnen achten und mit ihnen auf Augenhöhe sprechen/kommunizieren.
Als Lehrkraft ist es wesentlich, die Bedürfnisse und Wünsche der demenziell eingeschränkten SchülerInnen und deren ganz eigene Sicht der Realität zu erkennen und zu berücksichtigen. Kritik und unnötige Zurechtweisungen sind zu vermeiden. Grundsätzlich sollte eine wertschätzende Haltung vorherrschen, die hinter jedem noch so unpassenden Verhalten des Gegenübers einen Sinn und eine Berechtigung zu finden versucht. Diese wertschätzende Haltung gegenüber anderen Menschen wird mit dem Begriff Validation beschrieben und bietet in musikalischen Situationen besondere Chancen, wenn zum Beispiel die demenziell veränderte Person plötzlich ein anderes Lied anstimmt und damit intuitiv das Richtige tut, weil z. B. das vermeintlich falsche Lied weitere Potenziale aufzeigt.
2. Eigenständigkeit und Selbstbestimmung
Um die Selbstachtung, Sicherheit und Lebenszufriedenheit unseres Gegenübers zu erhalten, sollten wir ihnen nicht alle Aufgaben abnehmen, nur weil sie jetzt weniger gut ausgeführt werden können. Oft braucht es nur mehr Zeit oder kleine Hilfestellungen, bis demenziell veränderte Musiker ihr Instrument zur Hand nehmen und zu spielen beginnen. Als erwachsene Menschen möchten sie mit entscheiden, welche Lieder gespielt werden, und sie haben ein Recht darauf, dass ihre Beurteilung des Klangergebnisses akzeptiert wird.
Ein pauschal ausgesprochenes Lob wie „das haben Sie gut gespielt“ kann ein erwachsener Lernender vielleicht nicht annehmen, weil die eigene Beurteilung davon abweicht. Wird das Lob jedoch präzisiert, z. B. “Sie haben gerade gestrichen und sauber gespielt – prima!”, kann es leichter akzeptiert werden.
3. Kommunikation und Orientierung
Wenn wir mit demenziell veränderten Menschen sprechen, sollten wir stets den Blickkontakt mit dem Gegenüber halten und in kurzen, klaren Sätzen reden. Fragen sollten mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sein oder mögliche Antworten zur Auswahl beinhalten, z. B. „Möchten Sie jetzt Hänschen klein oder Summ, summ, summ spielen?“ Wir müssen dem Menschen Zeit lassen zu antworten, und wenn möglich können wir Worte durch Gesten und/oder Berührungen ergänzen und verständlicher machen. Falls es im Gespräch zu unlösbaren Konfrontationen oder Frustration beim erfolglosen Spiel kommt, lässt sich der demenziell veränderte Mensch meist mit etwas Neuem ablenken, und die schwierige Situation ist schnell vergessen.
Zur Orientierung des Schülers oder der Schülerin sollte die Musikstunde immer zur gleichen Tageszeit stattfinden, der Unterrichtsraum sollte stets derselbe oder der räumliche Aufbau von Stühlen und Ablagen gleich sein. Gut ausgeleuchtete Räume helfen dem alten Menschen, Instrumente und spieltechnische Bewegungen besser zu sehen, und neben dem eigenen Musizieren sollten keine weiteren Geräusche die Situation stören. Eine ruhige Atmosphäre mit Pausen zur Entspannung bereiten Demenzerkrankten ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Viele brauchen Nähe und Körperkontakt und lassen sich gerne streicheln oder den Arm um die Schultern legen.
Wenn möglich sollte der Instrumentalunterricht in der häuslichen Umgebung des Schülers oder der Schülerin stattfinden, weil die vertrauten Räumlichkeiten ein großes Maß an Orientierung bieten. Es kann aber sein, dass sich die demenziell veränderte Person wünscht, an einem anderen Ort zu musizieren – wie Frau Schmidt in unserem Beispiel. Dann sollte die Lehrkraft diesen Wunsch nach Selbstbestimmung und Mitentscheidung unbedingt respektieren und nach Möglichkeit erfüllen. Vielleicht braucht die Person einen eigenen Raum für das Musizieren, wo sie nicht wie in der häuslichen Umgebung ständig an ihre Defizite erinnert wird, sondern als Musiker oder Musikerin freier und offener auftreten kann.
4. Mit schwierigen Verhaltensweisen umgehen
Instrumentallehrer und -lehrerinnen, die demenziell veränderte Menschen unterrichten möchten, sollten die Angehörigen befragen, ob sie mit depressiven, aggressiven oder enthemmten Verhaltensweisen rechnen müssen. Auf Wut, Selbstkritik, Unruhe oder Angst sollten wir immer einfühlend eingehen und uns bemühen, den Auslöser dafür zu finden, um ihn eventuell in Zukunft vermeiden zu können. In der akuten Situation kann wiederum eine Ablenkung funktionieren, z. B. mit einem neuen Lied.
5. Unterrichtsinhalte
Neues Lernen ist für Demenzkranke kaum noch möglich, Bekanntes kann jedoch geübt und erhalten werden. Bekannte Lieder können gesungen, gesummt und auf dem Instrument gespielt werden. Sie können Anlass sein zu Gesprächen über die eigene Biografie und die persönlichen Vorlieben, oder es entstehen tänzerische Bewegungen dazu, die den Kreislauf anregen und die Körperkraft stärken. Jeder Mensch ist dabei einzigartig, und als Musikgeragoginnen oder Musikgeragogen sind wir stets Detektive, die verborgene Potenziale und Vorlieben der alten Menschen entdecken und fördern. Wenn wir das schaffen, kann es sein, dass die demenziell veränderte Person beim gemeinsamen Musizieren in einen beglückend erlebten Zustand des so genannten Flows gerät.
Sie wird Gefühle wie Freude, Zufriedenheit und Selbstvertrauen empfinden, die dann auch in andere Bereiche des Alltags ausstrahlen können.
Weitere Informationen zu den Wirkungen von Musik und zu den Methoden und Tätigkeitsfeldern der Musikgeragogik finden Sie auf den Internetseiten der Deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik , wo auch eine ausführliche Bibliografie veröffentlicht ist.