Loben und Lob annehmen
Instrumentalunterricht mit Erwachsenen
Instrumentalunterricht mit Erwachsenen erfordert eine andere Art zu loben. Während bei Kindern pauschal lobende Sätze wie „Das hast du toll gemacht!“ oder „Sehr schön!“ positiv aufgenommen werden und verstärkend wirken, sind erwachsene Schüler kritischer. Sie haben ein Klangideal vor Ohren, das sie über die Jahre ihres (Musik-)Lebens entwickelt und fixiert haben, und sie vergleichen das eigene Spiel stets mit diesem Klangideal. Aussagen der Lehrkraft wie „Das haben Sie sehr schön gespielt!“ werden deshalb von erwachsenen Instrumentalschülern oft nicht akzeptiert, weil das eigene Spiel ja noch nicht ihrem Klangideal entspricht. Manche reagieren mit Kopfschütteln, manche schmunzeln, nicht wenige entgegnen irgendwann: „Aber das war doch nicht schön!“.
Lehrkräfte, die erwachsene Instrumentalschüler unterrichten, sollten pauschales Lob vermeiden und stattdessen differenziert loben. Das bedeutet, dass sie einzelne Aspekte des Spiels bewerten, die sich tatsächlich von einem zum nächsten Spiel verbessert haben. Für das Violinspiel könnte das zum Beispiel bedeuten, dass die Intonation der Töne, die Bogenführung oder der Saitenwechsel besser gelungen ist. Ein solch differenziertes Lob wird von erwachsenen Schülern eher akzeptiert, weil es sich mit ihrer Selbsteinschätzung deckt.
Lob im Instrumentalunterricht mit demenziell veränderten Menschen
Bei demenziell veränderten Menschen ist es notwendig, in der Zweierbeziehung des Instrumentalunterrichts ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen, das auch in Nähe und Berührung zum Ausdruck kommt. Demenzerkrankte fühlen sich sicher und geborgen, wenn das Gegenüber den Blickkontakt hält, ihre Hände nimmt oder den Arm um ihre Schultern legt. Eine solche Nähe ist im Unterricht mit Kindern und gesunden Erwachsenen nicht derart ausgeprägt und für die Zweierbeziehung im Unterricht nicht so notwendig wie bei Demenzerkrankten.
Im Instrumentalunterricht mit demenziell veränderten Erwachsenen muss die Lehrkraft beide Aspekte berücksichtigen: Sie sollte differenziert loben, um der musikalischen Beurteilungsfähigkeiten des Menschen gerecht zu werden, und sie sollte eine vertrauensvolle Nähe aufbauen, die sich auch in angemessenen Berührungen ausdrücken darf.
Hinzu kommt, dass Schülerinnen und Schüler der Generation 70+ in ihrem (Schul-) Leben eine andere Lobkultur erfahren haben als jüngere Menschen. Die positiv verstärkende Wirkung des Lobens hat ca. seit den 1970er Jahren im Schulalltag an Bedeutung gewonnen. Menschen, die in früheren Zeiten zur Schule gegangen sind, kennen eher Tadel als Lob und die Einstellung „nicht geschimpft ist gelobt genug“.
Auch Frau Schmidt fällt es im Unterricht zunächst schwer, lobende Worte ihrer Geigenlehrerin anzunehmen. Manchmal scheint sie nicht so recht zu wissen, wie sie auf das Lob reagieren soll.
1. Unterrichtsstunde: Beziehungsaufbau
In der ersten Unterrichtsstunde setzt Anke Feierabend das Fundament für eine vertrauensvolle Beziehung, indem sie Frau Schmidt vorsichtig liebevoll berührt und sich begeistert zeigt. Ihr Kommentar „Das war gut!“ wird von ihrer erwachsenen Schülerin sofort revidiert „Das war nicht gut!“, und Frau Feierabend differenziert ihr Lob, indem sie den konkreten Aspekt benennt, den sie gut findet: „Sie haben die richtige Saite gefunden und mit dem richtigen Finger gegriffen!“.
Sie blickt in die Kamera und in die Runde und bezieht damit auch die anderen Anwesenden – Frau Schmidts Tochter und den Kameramann – in den Unterricht ein. Frau Schmidt scheint sich in dieser Gemeinschaft geschätzt und angenommen zu fühlen und freut sich, dass sie Applaus bekommt.
Der Grundstein für den Aufbau einer wertschätzenden Unterrichtsbeziehung ist gelegt.
Als Frau Feierabend im weiteren Verlauf der ersten Stunde sagt: „Ich bin beeindruckt!“ kontert Frau Schmidt sofort „Ich nicht!“ Frau Schmidt wird die Begeisterung von Frau Feierabend zu viel, sie will spielen und setzt erwartungsvoll ihre Geige an den Hals. Frau Feierabend konnte vorher nicht wissen, mit welchen Spielfertigkeiten sie bei Frau Schmidt nach so langer Zeit und aufgrund der demenziellen Veränderungen rechnen darf. Ihre Begeisterung ist echt, und sie will sie nicht verstecken.
2. Unterrichtsstunde: differenziertes Lob
Auch in der 2. Unterrichtsstunde klärt Anke Feierabend zunächst die Grundeinstellung, mit der Lehrerin und Schülerin die kommenden Klänge bewerten sollen: Vor dem Hintergrund, dass Frau Schmidt so lange Zeit nicht gespielt hat, sind die Klangergebnisse sehr gut.
4. Unterrichtsstunde: Selbstkritik überwinden
In der 4. Unterrichtsstunde wirkt Frau Schmidt bei den Einspielübungen der leeren Saiten sehr konzentriert, schaut kaum auf und nimmt zunächst wenig Kontakt zu ihrer Lehrerin auf. Auf Frau Feierabends „Sehr schön!“ erwidert sie „Na, schön ist was anderes!“. Diese Selbstkritik scheint ihr automatisch über die Lippen zu kommen. Frau Feierabend bekräftig noch einmal ihre Einschätzung, dass es sehr wohl schön war. “Ja?” entgegnet Frau Schmidt leise mit der Geige am Kinn möchte am liebsten sofort weitermachen. Frau Feierabend geht darauf ein.
Als auch der nächste Durchgang des gemeinsamen Spiels leerer Saiten rein intoniert zum Ende kommt und beide den Bogen absenken, sagt Frau Feierabend zunächst nur leise „Ja“ und schaut ihre Schülerin an, die zu Boden blickt und die Geige spielbereit hält. Sie provoziert damit eine Reaktion, Frau Schmidt lacht und zeigt damit ihre Zufriedenheit, ohne dass Frau Feierabend das Lob aussprechen muss. Die vertrauensvolle Beziehung wird nonverbal hergestellt.
Im nächsten Ausschnitt spielen Lehrerin und Schülerin unisono die Tonleiter im Quintraum auf der E-Saite – trotz der Höhe sehr rein intoniert. Zum ersten Mal bestätigt Frau Schmidt hier das Lob von Feierabend: „Das war ganz gut, nicht?“ Als auch die zwei Zuschauer hinter der Kamera applaudieren und Frau Feierabend sie mit in die Gemeinschaft einbezieht, zeigt Frau Schmidt deutlich ihre Freude – und behält die Geige spielbereit.
Nachdem Frau Schmidt mit ihrer Lehrerin die gesamte Tonleiter über zwei Saiten erfolgreich beendet hat, bläst sie die Backen auf und pustet die Luft kraftvoll aus. Diese körperliche Reaktion zeigt, dass eine Anspannung von ihr abfällt und sie erschöpft, aber zufrieden ist. Sie steigt in das Lachen von Frau Feierabend ein und bestätigt sogar das pauschale Lob „Klasse!“ mit einer für ihre Generation typische Abwiegelung: „Naja, ging so!“.
„Das ist ja grausam“ ist Frau Schmidts Kommentar zu ihrem nicht sehr sauber intonierten Tonleiterspiel auf der A-Saite. Frau Feierabend lenkt von den Schwierigkeiten ab, indem sie zunächst das gute Gehör von Frau Schmidt lobt, das es ja erst möglich macht, dass Frau Schmidt ihr eigenes Spiel kritisieren kann. In dieser Fähigkeit, Klänge zu beurteilen, unterscheidet sich die erwachsene Schülerin von jungen Lernenden, bei denen sich das Urteilsvermögen für Klänge meist erst allmählich ausbildet. Nachdem Frau Feierabend konkret das gute Gehör gelobt hat, kann Frau Schmidt dieses Lob ihrer Lehrerin annehmen. Beide begegnen sich im Fachgespräch über die Klangentstehung beim Klavier vs. Geige auf Augenhöhe und mit vertrauensvoller gegenseitiger Anerkennung.
Auch im Gespräch nach dem nächsten Tonleiterspiel differenziert Frau Feierabend die Selbstkritik von Frau Schmidt und lobt deren erfahrenes Gehör, das ja Voraussetzung für ihre Selbstkritik ist. Frau Schmidt kann so ihr Tun und Erleben positiv bewerten.
Frau Schmidts Kommentar nach ihrem Tonleiterspiel in der letzten Szene dieser Beispiele – „Na, das hab’ ich ja wenigstens mal hingekriegt“ – ist vor dem Hintergrund früherer Bemerkungen ein großes Eigenlob und zeigt einen wichtigen Schritt in ihrer Entwicklung hin zu einer positiven Selbsteinschätzung.
5. Unterrichtsstunde: Applaus vom Publikum
Anke Feierabend entscheidet sich in der 5. Unterrichtsstunde wieder dafür, schweigend innezuhalten und auf eine Reaktion von Frau Schmidt zu warten. Die lacht nach dem gelungenen Spiel erleichtert auf, ihr Körper entspannt sich, und sie scheint sich über das Lob ihrer Lehrerin und über den Applaus der nicht sichtbaren Zuhörer – ihre Tochter und die Betreuungskraft – zu freuen. Aber vor allem motiviert sie der Erfolg zum Weitermachen, denn sie fragt: „Was noch?“
Später gibt es für Frau Schmidt noch einmal Applaus vom unsichtbaren Publikum: Ihre Tochter und die Betreuungskraft rufen „Super!“ und “Bravo!”. Das „Bravo“ von Frau Feierabend wiegelt Frau Schmidt zunächst ab: „Ja, Bravo, ich bin kaputt“ und macht damit deutlich, dass das Musizieren sie geistig und körperlich anstrengt. Als Frau Feierabend ihr Lob ausführt: „Sie haben Hänschen klein gespielt!“ schaut Frau Schmidt sie an und scheint unsicher, ob das Lob aufrichtig gemeint ist – vielleicht weil Hänschen klein ja ein einfaches Kinderlied und keine besondere Leistung ist. Sie wendet die Situation ab, indem sie wiederholt, dass sie erschöpft ist.
6. Unterrichtsstunde: Gefühle sind wichtiger als Realität
Zu Beginn der 6. Unterrichtsstunde sprechen Schülerin und Lehrerin über die Umstände, unter denen der Geigenunterricht stattfindet und die auch bei der Bewertung berücksichtigt werden müssen.
Auf Frau Schmidts Begründung für ihre Erschöpfung („ich komme ja abends immer spät nach Hause“) reagiert Frau Feierabend mit Verständnis und Mitgefühl. Nach einem langen Tag in der Tagespflege sind die zusätzlichen Eindrücke und Anforderungen in Frau Feierabends Wohnung sehr anstrengend für sie. Mit dem Gefühl von Erschöpfung scheint es fast, als sei sie auch emotional zurückversetzt in Phasen in ihrem früheren Leben als Lehrerin, in denen sie sich nach einem anstrengenden Schultag ähnlich überfordert gefühlt haben mag wie jetzt. Frau Feierabend überzeugt Frau Schmidt, dass sie die besondere Situation von Schmidt anerkennt und die Leistung vor diesem Hintergrund bewertet. Daher darf Frau Schmidt es auch glauben, wenn Frau Feierabend sie lobt. Frau Schmidt nimmt diese Erklärung an.
Aber Frau Feierabend ermutigt ihre Schülerin auch, ihr eigenes Spiel und ihre Fortschritte vor sich selbst positiv zu bewerten und das auch offen auszusprechen und dazu zu stehen („Merken Sie, wie schön Sie das machen?“). Frau Schmidt ist jetzt so weit, dass sie das kann und dass sie sich auch darüber freuen kann. Für Menschen, die selbst merken, dass sie mit zunehmendem Alter körperliche und geistige Fähigkeiten verlieren, ist es oft schwer, diese Defizite zu akzeptieren und sich über ihre verbliebenen Kompetenzen und Verbesserungen zu freuen. Dass Frau Schmidt dies gelingt, ist ein wertvoller Erfolg des Instrumental-unterrichts für ihre Persönlichkeitsentwicklung: eine positive Grundeinstellung zu sich selbst, die auch in andere Bereiche ihres Alltags ausstrahlt.
Frau Schmidt zeigt, dass sie ihr Spiel bewerten kann „Das ist ein bisschen schief-schräg“, nimmt es sich selbst aber nicht mehr übel. Frau Feierabend erklärt das Phänomen „Quietschen“ auf der Geige und lobt dabei die Tatsache, dass Frau Schmidt das selbst hört und korrigiert.
Als Frau Schmidts Tochter – nicht sichtbar hinter der Kamera – am Schluss der Stunde applaudiert, kann Frau Schmidt das Lob mit einem erlösten Ausatmen und Lachen annehmen. Anke Feierabend bezieht die Tochter in die Szene ein, indem sie mit ihr über die Fortschritte der Mutter spricht. Sie streichelt dabei Frau Schmidts Knie und demonstriert damit vertrauensvolle Nähe und Wertschätzung, die demenziell veränderte Menschen so sehr benötigen.
7. Unterrichtsstunde: Eigenlob
In der 7. Unterrichtsstunde will Frau Schmidt zunächst wieder ihr eigenes Spiel im Abgleich mit ihrem Klangideal als „unsauber“ bewerten. Frau Feierabend differenziert ihr pauschales Lob „ganz prima“, indem sie den einen konkreten Aspekt benennt, den sie „ganz prima“ findet: Frau Schmidt hat gegenüber dem ersten Mal die Übung nun sauberer gespielt. Das bestätigt Frau Schmidt mit den Worten „Ja, das stimmt!“ und zeigt in Mimik und Lachen ihre Freude darüber.
Erlöstes Lachen nach erfolgreichem Spiel zeigt der zweite Filmausschnitt. Lehrerin und Schülerin scherzen über die Anstrengungen des Spiels und begegnen sich dabei auf Augenhöhe.
Wieder ermutigt Frau Feierabend ihre Schülerin, ihr eigenes Spiel positiv zu bewerten und dies auch in Worten zum Ausdruck zu bringen. Sie soll freudig „Ja!“ sagen und nicht abwertend „Ja, ja..“. Das ist ein Lernschritt, der zunächst wenig mit Musik zu tun hat, aber vielleicht in musikalischem Kontext gut eingeübt werden und dann auf andere Bereiche des Alltags übertragen werden kann. Frau Schmidt folgt der Anweisung ihrer Lehrerin und sagt gespielt freudig, aber eigentlich ironisch „Ja!“
Tatsächlich zeigen die Berichte der Tochter von Frau Schmidt, dass die Mutter nach der Geigenstunde regelmäßig positiv gestimmt ist und sich aus eigenem Antrieb noch ans Klavier setzt, um ein bisschen zu spielen und zu singen – obwohl sie das sonst nie tut! Das gemeinsame Musizieren mit Frau Feierabend bewirkt bei Frau Schmidt ein positives Lebensgefühl, das sie noch über den Unterricht hinaus aufrechterhalten will und kann.
In der letzten Szene dieses Beispiels freut sich Frau Schmidt über ihr gelungenes Spiel und ist motiviert, noch öfter zu üben trotz oder gerade wegen der körperlichen und geistigen Anstrengung. Frau Feierabend ruft ihr in Erinnerung, dass sie das Lied ja erst drei Mal gespielt haben, so dass ihr Spiel ein noch größeres Lob verdient. Das kann Frau Schmidt bestätigen: „Ja, war schon ganz gut.“
9. Unterrichtsstunde: “Fishing for Compliments”?
In der 9. Unterrichtsstunde lobt Anke Feierabend weniger emotional, sondern eher sachlich, nicht überschwänglich, sondern ruhig. Oft schweigt sie einfach, um bei Frau Schmidt eine Reaktion auf ihr Spiel abzuwarten. Die scheint sich daran gewöhnt zu haben, dass sie gelobt wird, und nimmt es geduldig hin. Die Geige behält sie spielbereit am Hals, als wolle sie am liebsten gleich weiterspielen anstatt Lob zu hören.
Frau Feierabend geht auf die Selbstkritik von Frau Schmidt nicht ein, versucht nicht, sie in ihrer Selbsteinschätzung umzustimmen, sondern startet schnell die nächste Übung.
Im weiteren Verlauf der Stunde wird Frau Schmidt lockerer, sie lacht und scherzt häufiger. Die musikalischen Herausforderungen werden größer, und das scheint sie zu realisieren und zu genießen, auch wenn sie sie noch nicht meistern kann. Oft kommt jetzt der erste Kommentar nach einer Übung von ihr, und sie zeigt Stolz, Freude und Zufriedenheit. In ihrem Lob hebt Frau Feierabend die besondere musikalische Herausforderung hervor, und um den Lernerfolg in Sachen Selbsteinschätzung und Annehmen von Lob zu sichern, lässt sie sich ihr Lob von Frau Schmidt bestätigen.
An dieser Stelle waren wir Autoren uns nicht einig:
Kerstin Jaunich vermutet, dass die Selbstkritik von Frau Schmidt auch manchmal ein unbewusstes Kokettieren sein könnte, um bei dem Gegenüber Einwände und Umstimmungsversuche zu provozieren, also noch mehr Lob zu provozieren (Fishing for Compliments). Anke Feierabend kann diese Absicht im Verhalten von Sigrid Schmidt nicht finden. Was meinen Sie? Wir freuen uns über Kommentare und Anregungen!
10. Unterrichtsstunde: Ablenkungen
Die 10. Unterrichtsstunde beginnt damit, dass Frau Schmidt mit ihrer Leistung oder vielleicht auch mit der Anstrengung, die es sie kostet, diese Leistung zu erbringen, nicht zufrieden ist. Frau Feierabend versucht sie umzustimmen, aber anders als in früheren Stunden beharrt Frau Schmidt jetzt auf ihrer Einschätzung – ein Zeichen dafür, dass sie sich von Frau Feierabend akzeptiert fühlt und nun den Mut hat, ihre Meinung zu vertreten. Frau Feierabend möchte statt Leistungsanspruch lieber eine unbeschwerte Haltung erwirken und geht nicht auf Frau Schmidts Unzufriedenheit ein. Bei demenziell veränderten Menschen kann das eine sinnvolle Strategie im Unterricht sein: Unzufriedenheit des Schülers über den eigenen Misserfolg zwar anerkennen, dann aber zügig im Unterricht weitergehen und mit neuen Aufgaben von negativen Gefühlen ablenken.
Auch Frau Schmidt lässt sich mit einem neuen Lied ablenken und scheint das Gefühl des Misserfolgs schnell zu vergessen.
In der nächsten Szene geht Frau Feierabend ebenfalls wenig auf die negative Äußerung von Frau Schmidt ein, sondern beschreibt die positive Entwicklung in ihrem vorherigen Spiel. Das zunächst unsaubere Spiel erfährt in Frau Feierabends Beschreibung eine Uminterpretation, weil sich in Frau Schmidt Unzufriedenheit zeigt, wie gut ihr Gehör ist, und weil Frau Schmidt sich im Verlauf des Spiels selbstständig verbessert. Frau Schmidt kann die Beschreibung ihrer Lehrerin bestätigen und das Lob problemlos annehmen.
Die folgende Szene zeigt ein ähnlich differenziertes Lob von Frau Feierabend, das Frau Schmidt annimmt. Hier äußert sich die Zufriedenheit in ihrer Motivation, sofort weiterzuspielen und das Lied zu wiederholen. Sie scheint im beglückenden „Flow“ des erfolgreichen Spiels verbleiben zu wollen.
Das für Frau Schmidt typische Aufblasen der Wangen nach anstrengendem und erfolgreichem Spiel ist jetzt nicht mehr so häufig zu sehen. Sie akzeptiert das Lob und bestätigt es durch Nachfrage „Das war gut, nicht?“
Von Szene zu Szene scheint es ihr leichter zu fallen, Lob anzunehmen und vor sich selbst mit Worten einzugestehen, dass sie gut spielt. Sie kann nun auch über ihre Fehler lachen und Scherze machen, ohne sich schlecht zu fühlen. Und sie spürt, wie viele Ressourcen sie zumindest in der Musik hat, auch wenn sie im Alltag sonst vermutlich oft ihre zunehmenden kognitiven Defizite erlebt. Das macht sie so selbstbewusst, dass sie nun nach jedem Spiel selbst das Wort ergreift, ihre Fehler humorvoll kommentiert und stets die Geige in Ansatz behält, um weiter zu üben. Ihr Fazit gegen Ende der Stunde lautet: „Ja, war gut!“
Zusammenfassung
Im Unterricht mit demenziell veränderten Erwachsenen sollte die Lehrkraft ihr Lob immer differenziert aussprechen und begründen können, denn die erwachsene Person möchte sich gleichwertig in der Beurteilungsfähigkeit fühlen dürfen. Gleichzeitig braucht die demenzerkrankte Person das Gefühl von Nähe und Geborgenheit. So kann sie nach und nach das Vertrauen in ihre Fähigkeiten, das ihr in so vielen Alltagssituation verloren geht, in der Musik wieder gewinnen und dieses positive Gefühl über den Unterricht hinaus aufrechterhalten.